Walter Laqueur zum 100sten
Ich würde die Behauptung aufstellen, fände sich heutzutage irgendwo ein Kreis von Forscher*innen zur Jugendbewegung und käme das Gespräch auf die wohl wichtigsten Publikationen in diesem Forschungsfeld, fiele ohne jeden Zweifel bald der Name von Walter Laqueur. Dabei ist sein Band, der sehr schlicht den Titel: „Die deutsche Jugendbewegung“ trägt, schon vor fast 60 Jahren erschienen. Stellt sich die Frage, woher, in der eher schnelllebigen akademischen Wahrnehmung, dessen langlebige Bedeutung herrührt? Meiner Meinung nach sind es vor allem die genaue Wahrnehmung, intime Kenntnis des Forschungsgegenstandes und eine verständliche Sprache, die das Buch auszeichnen und zeitlos lesbar machen. Hier schrieb jemand, der sowohl das Handwerk des Journalisten als auch des Historikers gleichermaßen beherrschte, lesbar, pointiert und doch mit Präzision. Zudem war der Autor ein Kenner der Jugendbewegung, der das Phänomen zudem aus eigenem Erleben kannte und dennoch genug Abstand besaß sich ohne süßliche Verklärung seinem Forschungs-Gegenstand nähern zu können. Letzteres war, gerade in Anbetracht von Verstrickungen aus der Jugendbewegung und ehemaliger Jugendbewegter mit dem Nationalsozialismus, zu jener Zeit nicht selbstverständlich.
Walter Laqueur wurde am 26. Mai 1921 im schlesischen Breslau geboren. Die Eltern, deutsch-jüdisches Bürgertum, nicht arm, nicht reich, gehörten der unteren Mittelschicht an. Den Dünkel von Mitschülern aus vermögenderen Elternhäusern erinnerte Walter aus Schulzeiten. Dabei galt seine Schule, das Johannes-Gymnasium oder kurz Johannäum, als liberale Vorzeigeschule der Stadt, der relativ hohe Anteil jüdischer Schüler - wie auch von Lehrern, war stadtbekannt. In seiner Autobiographie (Wanderer wider Willen, 1995) schildert Walter Laqueur, mit der ihm eigenen Art von Nähe und Distanz, seine Erlebnisse und Interessen als Heranwachsender, darunter seine Liebe zum Sport. Im Frühjahr 1933, so lesen wir weiter, wurde er für einen jüdischen Jugendbund „gekeilt“, in dem man der Beschreibung nach das „Schwarzes Fähnlein“ erkennen kann (was WL später bestätigte). Der Bund war ein Spaltprodukt des 1932 aufgelösten „Deutsch-jüdischen Wanderbundes Kameraden“, meist wird er mit dem Adjektiv „deutsch-national“ versehen, was nicht falsch ist, aber zugleich auch nicht dessen einzige Bestimmung war. Nach der Auflösung dieses Bundes schloss Walter sich, wie auch andere Mitglieder des SF aus Breslau, den „Werkleuten“ an. Auch diese kamen aus den „Kameraden“, hatten sich aber nach 1933 für den Zionismus entschieden, auch dies als Beleg wie schnell sich politische Zuschreibungen in jugendlichen Lebensrealitäten verändern konnten. Wirklich bedeutsam blieben die gemeinsamen Fahrten und die enge Gemeinschaft Gleichaltriger, besonders als junge Juden im nationalsozialistischen Deutschland. Am 7. November 1938, dem selben Tag als in Paris Herschel Grynszpan auf den deutschen Botschaftssekretär von Rath schoss und dem das Pogrom vom 9./10. November folgen sollte, verließ Walter Laqueur Breslau in Richtung Palästina. Seine Eltern, die ihn noch zum Bahnhof gebracht hatten, sollte er nicht wiedersehen, sie wurden in der Shoah ermordet.
Walter begann zunächst in Jerusalem zu studieren, schloss sich dann einem Kibbuz an und wurde einige Jahre später Journalist. Ab 1953 hielt er sich mehrfach in Europa auf, ab 1955 dauerhaft in London und später in Washington. Die Themenfelder seiner Forschungen waren breit gefächert und umfasste: Analysen zur Sowjetunion, zur Geschichte und Zukunft Europas, dem Terrorismus und zur Geschichte Israels und des Zionismus, um nur einige zu nennen. Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer wirkte er als Direktor des Londoner Institute for Contemporary History und der Wiener Library. Aber immer wieder kam er in seinen Veröffentlichungen auch auf die Bedeutung der Jugendbewegung zurück, sei es in seinen autobiographischen Erinnerungen oder in seiner Generationengeschichte „Geboren in Deutschland. Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933“ aus dem Jahr 2000. Am 30. September 2018 verstarb Walter Laqueur 97-jährig in Washington D.C..
Wir sind uns nur ein Mal begegnet, waren aber, seit ich 2011 mit meinem Dissertationsthema zur „Jüdischen Jugendbewegung in Breslau“ begonnen hatte, im regelmäßigen Austausch. Allerdings wurde der Kontakt in seinen letzten Jahren, oft krankheitsbedingt, unregelmäßiger. Walter Laqueur war von Anfang an hilfsbereit und unkompliziert, ich verdanke ihm viele Kontakte und Hinweise, Kritik und Ermutigung. Seine Ermahnungen an mich: „werden sie bloß kein Sektierer“, haben nur bedingt geholfen. Zumindest habe ich, nachdem eine Mail bei mir ankam, die er eigentlich wohl nur an einen (mir unbekannten) Bekannten senden wollte und in der stand: er kenne da jemanden, dessen Hobby es sei die Biographien jüdischer Jugendbewegter aus Breslau zu sammeln, mit der Niederschrift meiner Arbeit begonnen. Allerdings hat es bis jetzt nicht zu einem Abschluss der Arbeit gereicht. Ich hoffe nun, für mich, für Walter Laqueur, Günter Lewy und all die anderen dieser Generation die ich noch kennenlernen durfte, auf das erfolgreiche Finale dieses Projektes.
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Walter Laqueur wurde am 26. Mai 1921 im schlesischen Breslau geboren. Die Eltern, deutsch-jüdisches Bürgertum, nicht arm, nicht reich, gehörten der unteren Mittelschicht an. Den Dünkel von Mitschülern aus vermögenderen Elternhäusern erinnerte Walter aus Schulzeiten. Dabei galt seine Schule, das Johannes-Gymnasium oder kurz Johannäum, als liberale Vorzeigeschule der Stadt, der relativ hohe Anteil jüdischer Schüler - wie auch von Lehrern, war stadtbekannt. In seiner Autobiographie (Wanderer wider Willen, 1995) schildert Walter Laqueur, mit der ihm eigenen Art von Nähe und Distanz, seine Erlebnisse und Interessen als Heranwachsender, darunter seine Liebe zum Sport. Im Frühjahr 1933, so lesen wir weiter, wurde er für einen jüdischen Jugendbund „gekeilt“, in dem man der Beschreibung nach das „Schwarzes Fähnlein“ erkennen kann (was WL später bestätigte). Der Bund war ein Spaltprodukt des 1932 aufgelösten „Deutsch-jüdischen Wanderbundes Kameraden“, meist wird er mit dem Adjektiv „deutsch-national“ versehen, was nicht falsch ist, aber zugleich auch nicht dessen einzige Bestimmung war. Nach der Auflösung dieses Bundes schloss Walter sich, wie auch andere Mitglieder des SF aus Breslau, den „Werkleuten“ an. Auch diese kamen aus den „Kameraden“, hatten sich aber nach 1933 für den Zionismus entschieden, auch dies als Beleg wie schnell sich politische Zuschreibungen in jugendlichen Lebensrealitäten verändern konnten. Wirklich bedeutsam blieben die gemeinsamen Fahrten und die enge Gemeinschaft Gleichaltriger, besonders als junge Juden im nationalsozialistischen Deutschland. Am 7. November 1938, dem selben Tag als in Paris Herschel Grynszpan auf den deutschen Botschaftssekretär von Rath schoss und dem das Pogrom vom 9./10. November folgen sollte, verließ Walter Laqueur Breslau in Richtung Palästina. Seine Eltern, die ihn noch zum Bahnhof gebracht hatten, sollte er nicht wiedersehen, sie wurden in der Shoah ermordet.
Walter begann zunächst in Jerusalem zu studieren, schloss sich dann einem Kibbuz an und wurde einige Jahre später Journalist. Ab 1953 hielt er sich mehrfach in Europa auf, ab 1955 dauerhaft in London und später in Washington. Die Themenfelder seiner Forschungen waren breit gefächert und umfasste: Analysen zur Sowjetunion, zur Geschichte und Zukunft Europas, dem Terrorismus und zur Geschichte Israels und des Zionismus, um nur einige zu nennen. Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer wirkte er als Direktor des Londoner Institute for Contemporary History und der Wiener Library. Aber immer wieder kam er in seinen Veröffentlichungen auch auf die Bedeutung der Jugendbewegung zurück, sei es in seinen autobiographischen Erinnerungen oder in seiner Generationengeschichte „Geboren in Deutschland. Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933“ aus dem Jahr 2000. Am 30. September 2018 verstarb Walter Laqueur 97-jährig in Washington D.C..
Wir sind uns nur ein Mal begegnet, waren aber, seit ich 2011 mit meinem Dissertationsthema zur „Jüdischen Jugendbewegung in Breslau“ begonnen hatte, im regelmäßigen Austausch. Allerdings wurde der Kontakt in seinen letzten Jahren, oft krankheitsbedingt, unregelmäßiger. Walter Laqueur war von Anfang an hilfsbereit und unkompliziert, ich verdanke ihm viele Kontakte und Hinweise, Kritik und Ermutigung. Seine Ermahnungen an mich: „werden sie bloß kein Sektierer“, haben nur bedingt geholfen. Zumindest habe ich, nachdem eine Mail bei mir ankam, die er eigentlich wohl nur an einen (mir unbekannten) Bekannten senden wollte und in der stand: er kenne da jemanden, dessen Hobby es sei die Biographien jüdischer Jugendbewegter aus Breslau zu sammeln, mit der Niederschrift meiner Arbeit begonnen. Allerdings hat es bis jetzt nicht zu einem Abschluss der Arbeit gereicht. Ich hoffe nun, für mich, für Walter Laqueur, Günter Lewy und all die anderen dieser Generation die ich noch kennenlernen durfte, auf das erfolgreiche Finale dieses Projektes.
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In Zusammenarbeit mit
DFG-Forschungsprojekt: „Zwischen Alija und Flucht. Jüdische Jugendbünde und zionistische Erziehung unter dem NS-Regime und im vorstaatlichen Israel 1933–1945.“
Projektleitung: Prof. Dr. Ulrike Pilarczyk, +49 (0) 531-391 8807, ulrike.pilarczyk(at)tu-bs.de Technische Universität Braunschweig | Institut für Erziehungswissenschaft © 2023 |